Samstag, 16. September 2017
Vorbereitungsseminar in Göttingen - Experiment Rollstühle
Ein paar Tage später waren wir mit Rollstühlen in Göttingen unterwegs. Unglücklicherweise hat es an dem Tag quasi dauerhaft geregnet, d.h. selbst anzuschieben war richtig schwer, weil dieses Handrad total rutschig war. Aber dadurch konnten wir schon besser nachempfinden, wie blöd das manchmal sein muss. Ziel dieses Experiments war es zu testen, inwiefern Göttingen barrierefrei ist. Was wir aber als erstes feststellen mussten war, dass Gehwege, die eben aussehen, meistens doch ziemlich schräg sind und entsprechend unpraktisch für Rollstühle.
Als Ergebnis bleibt festzuhalten, dass viele Läden ca. 2 kleine Stufen haben, die aber für Rollstühle doch gleich sehr unpraktisch sind. Auch zu enge Gänge gibt es leider recht oft. Um an alles zu kommen, was man benötigt, muss folglich besser geplant werden, was Spontanität leider ausschließt.
Hilfsbereite Menschen haben wir ziemlich viele getroffen, aber mir ist es um ehrlich zu sein doch um einiges lieber, Dinge selbstständig & unkompliziert erledigen zu können. Außerdem habe ich so noch viel mehr Freiheit und Auswahl.
Und inwiefern sich das angewiesen sein auf die Hilfe anderer auf das Selbstwertgefühl und auf das Bedürfnis nach Autonomie auswirkt, kann ich nach einem einzigen Tag auch nicht beurteilen. Dazu wäre es wohl am besten, einfach einen Rollstuhlfahrer zu fragen.

Was mich am Ende des Tages nachdenklich gemacht hat, war folgendes: Wir, als „Rollstuhlfahrer“ bekamen an diesem Tag wirklich viel Hilfe angeboten und bekamen eigtl. nie unfreundliche Reaktionen. So weit so gut. Aber Obdachlose, psychisch kranke Menschen etc. benötigen auch Hilfe. Auch sie brauchen unsere Unterstützung, ohne dass sie direkt in eine Schublade gesteckt, oder von oben herab behandelt werden. Genauso wenig, wie wir von Rollstuhlfahrern wissen, warum sie nicht mehr laufen können (es gibt ja durchaus viele Möglichkeiten: von Geburt an, durch einen Unfall, Krankheit etc.), wissen wir auch von Obdachlosen etc. nicht, wie es dazu kam. Die Schuldfrage sollte deshalb auch nicht im Vordergrund stehen.
Ich hoffe wirklich sehr, dass diesbezüglich bald ein Umdenken in der Gesellschaft stattfindet! Lasst uns den Anfang machen!



Vorbereitungsseminar in Göttingen - Werte
An einem anderen Tag haben wir uns mit Werten beschäftigt. Zum einen mit denen, die in Deutschland vorherrschen, zum anderen aber auch mit unseren ganz persönlichen.
Unserer Meinung nach sind die Werte in Deutschland in etwa Listung, Ordnung und Freiheit. Wir waren uns alle einig, dass der Leistungsgedanke echt oft krassen Druck etc. bewirkt. Gleichzeitig hat unser Trainer uns eingeladen, trotzdem auch den Blick extra auf die positiven Konsequenzen dessen zu lenken!
Außerdem denke ich, ist es für uns Menschen persönlich wichtig, unseren eigenen, individuellen Werten treu zu bleiben. Das zu tun, was für uns persönlich richtig ist. Dabei geht es nicht so sehr darum, unbedingt mega individuell sein zu müssen, sondern vielmehr darum, mit sich selbst im Einklang zu sein. Sich nie aufzugeben und einfach so zu sein, und sich so zu akzeptieren, wie man ist. Anschließend kann man sich immer noch verändern, wenn es sich gut für einen selbst anfühlt. Und ich glaube auch, dass es extrem wichtig ist, an sich selbst zu glauben; sich selbst Dinge zuzutrauen, wenn es sein muss, auch mal zu kämpfen, für das, was einem wichtig ist. Dazu gehört es dann auch, sich immer wieder klar zu machen, welche Werte, Ziele und Bedürfnisse man gerade hat und diese dann dementsprechend zu erfüllen bzw. evtl. auch zu hinterfragen.



Vorbereitungsseminar in Göttingen
Das zweite Vorbereitungsseminar fand dann direkt Ende Juli für knapp zwei Wochen in Göttingen statt.
Die „Spiele“ dort waren auch ganz spannend: Zum Beispiel mussten wir direkt am zweiten Tag mittags ohne Geld und „ohne Alles“ losziehen und am Abend mit einem selbstgebackenen Kuchen wieder da sein.
Problem Nummer 1: Wo bekommen wir Zutaten her?
Problem Nummer 2: Welche Küche dürfen wir benutzen?
Die Einrichtungen der Jugendherberge waren dabei selbstverständlich tabu.
Voller Motivation haben wir uns an die Aufgabe herangewagt. Durch an der Tür klingeln hatten wir erstaunlich schnell die Zutaten für einen leckeren Apfelkuchen beisammen. Womit wir anschließend echt nicht gerechnet hätten war, dass die zweite Person, die wir wegen der Küchennutzung gefragt hatten, uns schon positiv antwortet.
Immer noch hochmotiviert haben wir dann in der Küche einer Studentin einen Hefezopf und einen Apfelkuchen gebacken und ihr auch einen dagelassen.
Wie fast zu erwarten war, hatten die anderen Gruppen teils größere Schwierigkeiten bei der Suche nach einer Küche.



Letztendlich hatten wir aber 4 superleckere Kuchen im Seminarraum stehen, die dann mit Freude vernascht wurden.
Mich hat dabei vor Allem die Offenheit der Studentin beeindruckt, denn wenn ich ehrlich bin, bezweifle ich stark, dass ich auch einfach so 4 junge, wildfremde Mädels in meiner Küche alleine hätte backen lassen. Gleichzeitig möchte ich mir vornehmen, mich selbst öfter so zu verhalten. Es können dabei schließlich echt coole Geschichten entstehen.
Außerdem finde ich, dass die Welt das braucht. Also Offenheit, Teilen, Gemeinschaft etc. Warum dann nicht selbst als gutes Beispiel vorangehen?!


Am Abend darauf waren wir im Freiluftkino und haben uns den Film „Raving Iran“ angesehen. Mir ist dabei wieder bewusst geworden, wie viele Privilegien wir schon allein als „Deutsche“ genießen. Also vor allem Freiheit (Meinungsfreiheit, freie Berufswahl, Reisefreiheit, Demokratie etc.), Rechte (Menschenrechte etc.) und viele, viele mehr.
Darüber haben wir auch im ersten Seminar geredet. Und zwar hatten wir als Symbol die Power flower.



Je mehr kleine Blütenblätter, desto privilegierter ist man (in Deutschland). Gleichzeitig hat man aber auch mehr Verantwortung. Verantwortung zum Beispiel dafür zu sorgen, dass die Menschen, die große Blütenblätter haben, dadurch nicht mehr benachteiligt werden.
Was das jetzt konkret heißt, muss jeder für sich entscheiden. Meiner Meinung nach lässt sich diese Blume auch noch wunderbar bzgl. eines verantwortungsvollen Umgangs mit unserer Erde und unseren Mitmenschen erweitern. Beispielsweise was den Verbrauch der Ressourcen oder auch die Flüchtlingskrise angeht. Auch die Inklusion von Menschen (z.B. Obdachlose, Suchtkranke etc.), die von der Gesellschaft teils als „unnormal“ betrachtet werden, gehört dazu.

Einen anderen Tag sollten wir von morgens bis abends ohne Geld, ohne Handy, „ohne alles“ in Göttingen verbringen. Gerade das „ohne Handy“ fand ich ziemlich bereichernd, weil ich damit die Umgebung doch nochmal viel deutlicher wahrgenommen habe (Handy -> Ablenkung). Auch ist dadurch eine gewisse Ruhe entstanden und ich habe meine Gedanken den Dingen zugewandt, die ich im Moment schön fand, die nichts kosteten (z.B. eine nette Konversation mit einer Verkäuferin in einem Blumenladen) und die mich deshalb einfach glücklich gemacht haben. Auch die Straßenmusiker habe ich in einem ganz anderen Licht wahrgenommen. Bedauerlicherweise hatte ich aber kein Geld dabei, dass ich ihnen geben konnte, also musste es halt ein liebes Lächeln tun 😊.
Es ist aber auch eine Art Einladung, die schönen Dinge des Lebens bewusster wahrzunehmen und auch wert zu schätzen. Auf jeden Fall eine Erfahrung wert.
Ohne Geld zu sein, hat bewirkt, dass ich den Luxus, den wir hier in Deutschland genießen, viel deutlicher wahrnehmen konnte (weil ich gesehen habe, was ich mir jetzt alles nicht kaufen kann). Aber dieser Luxus bringt eben nichts für die Leute, die sich davon nichts leisten können. Ein Wechsel von unserer Wegwerfgesellschaft hin zu Flohmärkten, Minimalismus und Achtsamkeit wäre hier bestimmt nicht ganz fehl am Platz.
Was faszinierend war, war, dass ich ernsthaft dreimal direkt nach Geld gefragt wurde und nichts geben konnte, was sich irgendwie falsch angefühlt hat. Aber gleichzeitig bin ich mir gar nicht sicher, ob ich, wenn ich Geld gehabt hätte, wirklich auch etwas gegeben hätte. Das macht mich echt nachdenklich. Man müsste die Geschichte der Personen kennen. Es wäre also nur logisch, aktiv selbst danach zu fragen -> „Komfortzone!!!“ Es lohnt sich!
Zurück in der Jugendherberge haben wir das leckere Abendessen genossen. Man nimmt das wirklich gleich ganz anders wahr, wenn man weg von dem Gedanken ist, „selbstverständlich“ Essen zu haben.
Die ganze Aktion lief übrigens unter dem Titel „raus aus der Komfortzone“. Kann ich sehr empfehlen. Denn dann lernt man meistens etwas richtig Hilfreiches dazu und hat hinterher eine Menge tolle Erfahrungen gesammelt.



Mein Freiwilligendienst in Frankreich - Vorbereitungsseminar in Eschwege


Kaum das Abi in der Tasche, geht es auch schon weiter. Ich habe mich für einen Internationalen Jugendfreiwilligendienst (IJFD) entschieden. Im Prinzip also ein FSJ, nur eben nicht in Deutschland.
Die Länderwahl fiel dann auch schnell auf Frankreich. Prinzipiell kann der Dienst aber in jedem Land der Welt geleistet werden.
Als ich beim ersten Vorbereitungsseminar in Eschwege angekommen bin, wurde mir auch ziemlich schnell bewusst, dass Frankreich wohl doch nicht zu den aller beliebtesten Ländern zählt. Ich war nämlich die einzige. Alle anderen gehen in englischsprachige Länder.
Weshalb ich mich aber dennoch für unser schönes Nachbarland entschieden habe, ist recht einfach: Zum einen habe ich in der 8. Klasse an einem Schüleraustausch mit einer Klasse in der Nähe von Lyon teilgenommen, der mir sehr positiv in Erinnerung geblieben ist, und zum anderen ist die französische Sprache einfach wunderschön. Was ich in den kommenden Monaten noch entdecken möchte, sind die Natur und auch die Städte Frankreichs. Hoffentlich kann ich am Ende des Jahres sagen, dass auch diese Seite Frankreichs mein Leben bereichert hat.



Jetzt aber zum eigentlichen Seminar:
Wir trafen uns eine Woche in Eschwege im Seminarhaus „Blaue Kuppe“. Wunderschön in der Natur gelegen, hatten wir das ganze Haus für uns alleine. Am ersten Abend war „Kennenlernen“ angesagt. Während den folgenden 7 Tagen haben wir viel gekocht (das Leben als Selbstversorger hatte definitiv Vorteile: So hatten wir jeden Tag das auf dem Tisch, was uns geschmeckt hat 😊). Außerdem wurden viele „Spiele“ gemacht. Ziel dabei war es, sich selbst besser kennenzulernen, was in gewisser Weise auch geklappt hat. Auch Gruppenbildung stand im Vordergrund, was vor allem für die Freiwilligen positiv war, die alle in das selbe Land gehen, denn sie haben dann schon ein kleines Netzwerk an günstigen Schlafgelegenheiten, wenn sie dort reisen möchten.
Ein Spiel ist mir dabei besonders in Erinnerung geblieben: Das Urlaubsspiel. 2 Freiwillige mussten vor der Tür warten und wir anderen haben uns für normale Wörter ein anderes ausgedacht (z.B. für Freunde das Wort Hunde etc.). In einer anschließenden Diskussion (zum Thema Urlaub), bei der auch die anderen beiden wieder teilgenommen haben, sollten dann immer diese Ersatzwörter verwendet werden. Das war aber auch schon alles an Vorgaben.
Was aber in unseren Gehirnen passiert ist, war, dass wir als selbstverständlich angenommen hatten, dass wir die neuen Wörter nicht für die „Ausgeschlossenen“ übersetzen dürfen. Und so kam es, dass diese zwar direkt danach gefragt haben, von uns jedoch keine Antwort darauf erhalten haben.
Als das Spiel wieder aufgelöst wurde, kam das Gespräch natürlich sofort darauf, dass unser Verhalten nicht den Vorgaben entsprach. Auch wurden unsere individuellen Gründe dafür erläutert. Angst vor der Reaktion der anderen Gruppenmitglieder bei Mitteilung des „Geheimnisses“, das ja eigentlich laut Vorgabe gar keines war, aber auch das Gefühl, eine geschlossenen Gruppe zu sein, die etwas spezielles teilt, wurden dabei öfter genannt.
Mich persönlich hat dieses „Ergebnis“ stark an „Die Welle“ bzw. den Nationalsozialismus erinnert.
Was ich daraus hoffentlich gelernt habe ist, dass man möglichst offen und unvoreingenommen an die verschiedensten Situationen herangeht, Vorannahmen vermeidet und alle Menschen, egal wie sie sind, akzeptiert und z.B. in Gruppen aufnimmt.

Auch das Thema „Konflikte“ wurde behandelt. Was sich dabei besonders herausgestellt hat, ist folgendes: Oft hat jeder, der bei einem Konflikt beteiligt ist, eine andere Perspektive von ihm. Deshalb sollte zuerst geklärt werden, was die einzelne Person gerade als problematisch betrachtet. Außerdem liegen den einzelnen Anliegen immer Bedürfnisse zugrunde. Wenn man diese erstmal benennen kann, ist es für die andere Person auch einfacher, darauf entsprechend zu reagieren.

Ansonsten saßen wir abends oft am Lagerfeuer oder haben kleine Workshops gemacht.
Alles in allem war die Woche super spannend, was sowohl den motivierten Freiwilligen, als auch unseren coolen Trainern zu verdanken ist.