Das zweite Vorbereitungsseminar fand dann direkt Ende Juli für knapp zwei Wochen in Göttingen statt.
Die „Spiele“ dort waren auch ganz spannend: Zum Beispiel mussten wir direkt am zweiten Tag mittags ohne Geld und „ohne Alles“ losziehen und am Abend mit einem selbstgebackenen Kuchen wieder da sein.
Problem Nummer 1: Wo bekommen wir Zutaten her?
Problem Nummer 2: Welche Küche dürfen wir benutzen?
Die Einrichtungen der Jugendherberge waren dabei selbstverständlich tabu.
Voller Motivation haben wir uns an die Aufgabe herangewagt. Durch an der Tür klingeln hatten wir erstaunlich schnell die Zutaten für einen leckeren Apfelkuchen beisammen. Womit wir anschließend echt nicht gerechnet hätten war, dass die zweite Person, die wir wegen der Küchennutzung gefragt hatten, uns schon positiv antwortet.
Immer noch hochmotiviert haben wir dann in der Küche einer Studentin einen Hefezopf und einen Apfelkuchen gebacken und ihr auch einen dagelassen.
Wie fast zu erwarten war, hatten die anderen Gruppen teils größere Schwierigkeiten bei der Suche nach einer Küche.
Letztendlich hatten wir aber 4 superleckere Kuchen im Seminarraum stehen, die dann mit Freude vernascht wurden.
Mich hat dabei vor Allem die Offenheit der Studentin beeindruckt, denn wenn ich ehrlich bin, bezweifle ich stark, dass ich auch einfach so 4 junge, wildfremde Mädels in meiner Küche alleine hätte backen lassen. Gleichzeitig möchte ich mir vornehmen, mich selbst öfter so zu verhalten. Es können dabei schließlich echt coole Geschichten entstehen.
Außerdem finde ich, dass die Welt das braucht. Also Offenheit, Teilen, Gemeinschaft etc. Warum dann nicht selbst als gutes Beispiel vorangehen?!
Am Abend darauf waren wir im Freiluftkino und haben uns den Film „Raving Iran“ angesehen. Mir ist dabei wieder bewusst geworden, wie viele Privilegien wir schon allein als „Deutsche“ genießen. Also vor allem Freiheit (Meinungsfreiheit, freie Berufswahl, Reisefreiheit, Demokratie etc.), Rechte (Menschenrechte etc.) und viele, viele mehr.
Darüber haben wir auch im ersten Seminar geredet. Und zwar hatten wir als Symbol die Power flower.
Je mehr kleine Blütenblätter, desto privilegierter ist man (in Deutschland). Gleichzeitig hat man aber auch mehr Verantwortung. Verantwortung zum Beispiel dafür zu sorgen, dass die Menschen, die große Blütenblätter haben, dadurch nicht mehr benachteiligt werden.
Was das jetzt konkret heißt, muss jeder für sich entscheiden. Meiner Meinung nach lässt sich diese Blume auch noch wunderbar bzgl. eines verantwortungsvollen Umgangs mit unserer Erde und unseren Mitmenschen erweitern. Beispielsweise was den Verbrauch der Ressourcen oder auch die Flüchtlingskrise angeht. Auch die Inklusion von Menschen (z.B. Obdachlose, Suchtkranke etc.), die von der Gesellschaft teils als „unnormal“ betrachtet werden, gehört dazu.
Einen anderen Tag sollten wir von morgens bis abends ohne Geld, ohne Handy, „ohne alles“ in Göttingen verbringen. Gerade das „ohne Handy“ fand ich ziemlich bereichernd, weil ich damit die Umgebung doch nochmal viel deutlicher wahrgenommen habe (Handy -> Ablenkung). Auch ist dadurch eine gewisse Ruhe entstanden und ich habe meine Gedanken den Dingen zugewandt, die ich im Moment schön fand, die nichts kosteten (z.B. eine nette Konversation mit einer Verkäuferin in einem Blumenladen) und die mich deshalb einfach glücklich gemacht haben. Auch die Straßenmusiker habe ich in einem ganz anderen Licht wahrgenommen. Bedauerlicherweise hatte ich aber kein Geld dabei, dass ich ihnen geben konnte, also musste es halt ein liebes Lächeln tun 😊.
Es ist aber auch eine Art Einladung, die schönen Dinge des Lebens bewusster wahrzunehmen und auch wert zu schätzen. Auf jeden Fall eine Erfahrung wert.
Ohne Geld zu sein, hat bewirkt, dass ich den Luxus, den wir hier in Deutschland genießen, viel deutlicher wahrnehmen konnte (weil ich gesehen habe, was ich mir jetzt alles nicht kaufen kann). Aber dieser Luxus bringt eben nichts für die Leute, die sich davon nichts leisten können. Ein Wechsel von unserer Wegwerfgesellschaft hin zu Flohmärkten, Minimalismus und Achtsamkeit wäre hier bestimmt nicht ganz fehl am Platz.
Was faszinierend war, war, dass ich ernsthaft dreimal direkt nach Geld gefragt wurde und nichts geben konnte, was sich irgendwie falsch angefühlt hat. Aber gleichzeitig bin ich mir gar nicht sicher, ob ich, wenn ich Geld gehabt hätte, wirklich auch etwas gegeben hätte. Das macht mich echt nachdenklich. Man müsste die Geschichte der Personen kennen. Es wäre also nur logisch, aktiv selbst danach zu fragen -> „Komfortzone!!!“ Es lohnt sich!
Zurück in der Jugendherberge haben wir das leckere Abendessen genossen. Man nimmt das wirklich gleich ganz anders wahr, wenn man weg von dem Gedanken ist, „selbstverständlich“ Essen zu haben.
Die ganze Aktion lief übrigens unter dem Titel „raus aus der Komfortzone“. Kann ich sehr empfehlen. Denn dann lernt man meistens etwas richtig Hilfreiches dazu und hat hinterher eine Menge tolle Erfahrungen gesammelt.